Dienstag, 10. September 2013

Meine ersten zwei Wochen - Getting started! :-)

Naturgemäß waren die ersten zwei Wochen besonders aufregend für mich und voller neuer Eindrücke und Erfahrungen. Mein Flug verlief reibungslos und ein alter Freund aus Hamburg hat mich netterweise vom Flughafen abgeholt. Ich wohne in einer Fünfer-WG mit einem Mexikaner, einem US-Amerikaner, einem Nigerianer und einem Taiwanesen. Wir vereinen also abgesehen von Australien quasi alle Kontinente in einer Wohnung! Dementsprechend vielfältig sind die Sprachen, die man so durch die Zimmertüren vernimmt und unsere Essgewohnheiten. Ich habe so schon mehrere mir vollkommen neue Düfte vernommen und einige "interessante" Speisen probiert. :-) Ich bekomme meine "roomies" zum Teil nicht so viel zu Gesicht, da alle viel unterwegs sind, aber bisher scheinen sie mir sehr nett zu sein und die Sauberkeit ist auch zufriedenstellend.

Alle zehn Fellows vor einem der drei NEC-Gebäude
Fast genauso international ist die Gruppe unserer Fellows. Es gibt außer mir noch drei weitere Internationale: Beverly aus Singapur, Millie (gebürtige Britin) aus Tansania und Eriel (gebürtige Taiwanesin) aus Südafrika. Die anderen kommen aus Chicago, New York City, San Francisco, Baltimore und Portland. Das Alterspektrum reicht von 24 bis 37 und wie man auf dem Foto unschwer erkennen kann sind bis auf Ricki aus Kalifornien alles Frauen. Alle haben entweder ein künstlerisches und/ oder pädagogisches Studium hinter sich und viele haben schon mehrere Jahre Berufserfahrung im musikpädagogischen Bereich. Ich empfinde es als sehr angenehm, dass alle neu in Boston und am New England Conservatory (NEC) sind und alle zunächst mal mit einem mehr oder weniger großen Kulturschock zurecht kommen müssen. 
 
Verteilung der rund 800 Studierenden am NEC (verteilt auf die drei Departments Klassik, Jazz und Contemporary Improvisation) nach Nationalitäten. Demnach bin ich die einzige aus Deutschland.
Das NEC hat uns sehr herzlich aufgenommen. In unserer ersten Woche hatten wir fast ausschließlich allgemeine Orientierungsveranstaltungen, in denen wir alle nur denkbaren Aspekte unseres Studiums erklärt bekommen haben. Wir internationalen Studierenden (rund 35 % der neuaufgenommenen) wurden dabei besonders ausführlich begleitet. Alle waren sehr freundlich und haben betont wie gern sie für Fragen zur Verfügung stehen. Die Fürsorge ging so weit, dass wir aufgelistet bekommen haben, wo man auf dem Campus am besten ein Nickerchen halten kann! Ob diese Freundlichkeit nun oberflächlich ist oder nicht - in jedem Fall war es sehr angenehm so begrüßt zu werden! Ich habe meine Zweifel, ob man in Deutschland oder an der UdK im Speziellen genauso in Empfang genommen wird ... 
mit Beverly, Megan und Ayriole bei der vom NEC
organisierten Hafenrundfahrt in der Orientierungswoche

Dabei darf man natürlich nicht vergessen, dass man in Deutschland kostenlos studieren kann (und dementsprechend weniger Geld für Betreuungspersonal zur Verfügung steht) während man hier regulär 20.-30.000 $ Studiengebühr zahlt (wir sind davon zum Glück befreit) und dann noch im Vergleich zu Deutschland exorbitant hohe Krankenversicherungs- und Lebenshaltungskosten hinzukommen. "Undergrads" müssen z. B. mind. im ersten Jahr im Mehrbettzimmer Wohnheim wohnen, für dass sie 18.000 $ / Jahr zahlen (und dennoch von Mitte Mai bis Ende August räumen müssen, weil das Konservatorium in der Zeit geschlossen ist). Trotzdem ist die Offenheit und Freundlichkeit der Menschen hier sehr auffällig. Wahrscheinlich spielt dabei auch eine Rolle, dass viele selbst mal neu im Land waren und sich gut in einen hineinversetzen können, wenn man zum Beispiel noch sprachliche Schwierigkeiten hat.

Unsere beiden Programmleiter Heath Marlow und
Virginia Hecker beim Openair-Konzert des Landmark
Symphony Orchestras anlässlich des 50. Jahrestages
von Martin Luther Kings "I have a dream" - Rede
Bisher verstehen wir Fellows uns wunderbar! Alle haben einen reichen Erfahrungsschatz und viele Ideen und unsere beiden Programmleiter Heath und Virginia verstehen es bisher sehr gut, alles harmonisch zusammenzuführen. 

Wir hatten bereits zwei sehr spannende Sitzungen mit Eric Booth. Er ist von Hause aus Schauspieler, reist aber inzwischen vor allem herum und hält Gastvorträge zu künstlerischer Bildung an allen großen Universitäten in den USA und ist einer der wichtigsten Fürsprecher für die Sistema-Bewegung hierzulande. Er hat einen sehr guten Überblick über fast alle Initiativen weltweit, die nach venezolanischem Vorbild intensiven und kostenlosen Musikunterricht  gewährleisten. Sehr empfehlenswert ist sein Essay zu den Grundprinzipien von El Sistema in Venezuela sowie sein monatlich erscheinender Newsletter The Ensemble zu den neuesten Entwicklungen von Sistema-Projekten in den USA (aber auch anderwo).

Ein anderer großer Themenbereich, mit dem wir uns ab dieser Woche beschäftigen ist Evaluation. Dabei wird es darum gehen zu überlegen, welche Werte wir unserem Sistema-Projekt zugrunde legen würden und welche Ziele wir daraus ableiten. Dabei haben wir zwischen intrinsischen (z. B. Kind lernt Geige spielen) und instrumentalen (z. B. Kind steigert Aufmerksamkeitsvermögen und soziale Kompetenz) Zielen unterschieden. Darauf aufbauend werden wir in den nächsten Wochen überlegen, mit welchen Unterrichtsformen und welcher Pädagogik wir diese verfolgen würden. Bei einem realen Projekt würde man dann das, was die Kinder tatsächlich gelernt haben im Hinblick auf die anfangs gesetzten Ziele evaluieren. Es leuchtet schnell ein, dass so eine Überprüfung sehr sinnvoll, aber wie bei allen Bildungsstudien auch sehr komplex ist und man sich über die kausalen Zusammenhänge trefflich streiten kann (z. B. Ist das Kind besser in Mathe, weil es Geige spielen lernt oder aufgrund anderer Faktoren? ...). Trotzdem ist es bei der Suche nach Sponsoren natürlich wesentlich, dass man belegen kann, dass das Projekt sich positv auf die Teilnehmenden auswirkt. Und natürlich ist es auch für das Projekt an sich heilsam von Zeit zu Zeit zu überprüfen, inwiefern der Unterricht den Ansprüchen gerecht wird. In den nächsten Tagen gucken wir uns noch sehr viel konkreter an, wie das alles aussehen kann. Mal sehen, was dabei herauskommt.

Ich freue mich immer über Mails und sonstige Lebenszeichen von euch! Bis bald!
Tatjana






Willkommen bei meinem Blog!

Seit dem 24. August bin ich nun in Boston. Bis Ende Mai werde ich hier als eine von zehn Sistema Fellows am New England Conservatory El Sistema erkunden. Wenn ich gefragt werde, was ich hier eigentlich mache, ist es gar nicht so einfach, darauf eine gute Antwort zu geben. Es ist wahrscheinlich hilfreich, zunächst zu erfahren, wie dieser Fellowship überhaupt in die Welt gekommen ist: Er wurde 2009 von José Antonio Abreu, dem Gründer und Leiter von El Sistema Venezuela ins Leben gerufen. Abreu wurde für sein fast vierzigjähriges Engagement mit dem TED-Prize ausgezeichnet. Sein Wunsch war es, ein Programm einzurichten, indem mindestens fünfzig junge Musiker in die Welt von El Sistema eingeführt werden, um anschließend die Idee von sozialem Wandel durch Musik in eigenen Projekten außerhalb Venezuelas umzusetzen (Das entsprechende Video gibt es hier: http://www.youtube.com/watch?v=Nwlj6YtaGk4).

In den kommenden neun Monaten wird also ein wesentlicher Bestandteil sein, uns mit El Sistema in Venezuela auseinandersetzen. Es ist die Inspirationsquelle für viele weitere Projekte in den USA und weltweit. Auch in Deutschland gibt es ein großangelegtes von El Sistema inspiriertes musikpädagogisches Projekt im Ruhrgebiet (Jedem Kind ein Instrument). Dazu werden wir Mitte November für knapp vier Wochen nach Venezuela fliegen. Im April haben wir außerdem drei Wochen Zeit, um uns Sistema-Projekte in den USA anzugucken. Das bekannteste ist wahrscheinlich das von Gustavo Dudamel in Los Angeles ins Leben gerufene Projekt YOLA, das ich in jedem Fall besuchen möchte. Außerdem werden wir uns die sieben Sistema-inspirierten Projekte im Großraum Boston anschauen und ab Oktober jede Woche einen Tag in einem davon mitarbeiten. Diese Besuche sollen dazu beitragen, die wesentlichen pädagogischen Grundsätze zu verstehen und zu beobachten, inwiefern man mit musikalischer Gruppenarbeit soziale Transformationsprozesse anstoßen kann. Für Abreu ist das Orchester ein Abbild der Gesellschaft. Er glaubt, dass Musik die Kraft hat, Kinder und Jugendliche aus armen Verhältnissen zu einem festen Platz in der Gemeinschaft zu verhelfen und sie von dem Gefühl zu befreien, ein "Niemand" zu sein. Die Musik soll ihnen Selbstbewusstsein verleihen und Respekt, Teamgeist und Toleranz befördern. Die positive Erfahrung im Orchester soll dann wiederum ausstrahlen auf das Umfeld der Kinder und so zum Kampf gegen Armut und Gewalt beitragen. Die Frage, ob Musikunterricht tatsächlich zu all diesen Wundertaten in der Lage ist, wird uns vermutlich die ganze Zeit begleiten ...

Wir haben außerdem mehrere Mentoren und Dozenten, die mit uns über das Jahr verteilt Seminare und Workshops u. a. zu den Themen Fundraising, Öffentlichkeitsarbeit, Martketing, Kommunikation, Gruppenführung, Teambuilding usw. machen werden.

Eine zentrale Aufgabe wird es sein, einen fiktiven Núcleo nach unseren eigenen Vorstellungen zu kreieren. Dazu sollen wir uns u. a. einen möglichen Ort, Verankerung in der Gemeinschaft, pädagogische Grundätze, Curricula, Finanzierungsmöglichkeiten etc. überlegen. Außerdem möchten wir natürlich auch soviel miteinander Musik machen wie möglich.

Ich bin sehr gespannt auf dieses Jahr und freue mich darauf mich nach meinen sechs wundervollen Studienjahren in Berlin noch ein weiteres Jahr lang ohne finanziellen Druck fortbilden zu können! In den nächsten Tagen werde ich meine ersten Eindrücke von hier festhalten und dann in regelmäßigen Abständen (geplant ist momentan alle zwei Wochen) berichten.

Wer jetzt schon neugierig auf die anderen Fellows ist, kann sich hier ihre Kurzprofile anschauen:

http://necmusic.edu/fifth-class-sistema-fellows

Ich freue mich sehr über Mails von euch! Schreibt mir gern Anmerkungen, Kommentare oder einfach nur, wie es euch gerade so geht! :-)